3.12.22: Mit Schutzheiligen von Torres del Paine nach El Calafate

Nach einem letzten Frühstück in unserem schönen Cottage haben wir gepackt und sind nach einem kurzem Halt in der Rangerstation mit Internetnutzung für den Blog durch den Park nach Cerro Castillo zum Grenzübergang gefahren. Entgegen der Wettervorhersage war es zwar weiterhin sehr stürmisch und kalt, aber die Sonne schien und wir konnten die Torres noch mal zum Abschied bewundern.

Obwohl die Grenzstation in the Middle of Nowhere nur ein kleines Häuschen war, fand hier die schärfste Kontrolle statt. Zum Glück betraf es uns nicht, da wir Chile ja verließen, aber wir konnten beobachten, wie die einreisenden Fahrzeuge mit Hunden kontrolliert wurden, die Lebensmittel erschnüffeln können und die Rucksäcke der Leute wurden auf einem Band wie am Flughafen geröntgt. Die Schärfe der Grenze ist besonders absurd, wenn man bedenkt, dass in Chile jetzt für mehrer Hunderte Kilometer erstmal die Straßen aufhören und man nur noch mit dem Schiff weiter nordwärts kommt. Es sind also für alle notwendig zwischen Chile und Argentinien hin und her zu wechseln.

Weiter fuhren wir auf der Ruta 40, die Straße die uns die nächsten Tausende von Kilometern begleiten wird. Zum Glück war sie größtenteils asphaltiert, aber ein Stück war so unpassierbar, dass wir gedreht haben und einen langen Umweg über andere Straßen gefahren sind. Stundenlang ging es durchs Nichts bei so starken Gegenwind, dass wir fast doppelt so viel Benzin verbrauchten. Außer Pampa war nix zu sehen, außer ab und zu eine einzelne Tankstelle und natürlich Gedenkstätten für Gaucho Gill. Man sieht sie wirklich ständig und überall. Lange Zeit war uns unklar, was die vielen – selbstgemachten – immer wieder am Straßenrand auftauchenden kleinen „Gedenkaltärchen“ zu bedeuten hatten. Wir dachen an Opfer des Straßenverkehrs, wie ja auch bei uns immer mal entsprechende Stellen gibt, aber es passte nicht so richtig, weil auch immer mal Flatterbänder oder gar Alkoholflaschen vorkamen. Wir konnten es dann mit unserer netten Führerin auf der Estanzia Haberton in Feuerland klären, mit der wir ja viel Zeit zum quatschen hatten und die wir allerlei – auf Englisch – fragen konnten. Inzwischen haben wir viele angeschaut und uns „weitergebildet“, also:

Exkurs Schutzheilige: Gaucho Gill und Difunta Correa, die Mutter aller Mütter: Die Argentinier haben – obwohl zu 90 Prozent katholisch – viele Volksheilige, die stark verehrt werden. Es werden für sie Altäre gebaut, sie bekommen Opfergaben, man betet zu ihnen und es gibt jährliche Wallfahrten. Die Kirche verurteilt zwar diese Götzenanbetung als Aberglauben, gibt aber wohl insoweit nach, als sie diese in die Messen wie die „offiziellen Heilige“ integriert.

Gaucho Gill ist einer der wichtigsten Heiligen. Er wurde 1847 geboren und wuchs als land- und rechtloser Gaucho auf. Das schönste Mädchen des Dorfes, das eigentlich den örtlichen Polizeikommissar heiraten sollte, verliebet sich aber in Gaucho Gill. Der Polizist forderte Gill daraufhin zum Duell. Gill gewann, ließ den Polizisten aber am Leben. Dieser dieser wollte jedoch nicht durch die Gnade eines Ehrlosen am Leben sein, der ihm auch noch die Frau abspenstig gemacht hatte und wollte ihn töten. Gill musste also untertauchen. Er kämpfte im Krieg gegen Paraguay und heilte nebenbei viele Wunden der Verletzten. Als er dann in den Bürgerkrieg (Föderalisten gegen Unitaristen) ziehen sollte, weigerte er sich und desertierte. Er lebte in den Wäldern und stahl das Vieh der Reichen um es den Armen zu bringen.Doch die Armee suchte nach ihm, fand ihn schließlich und machte ihm den Prozess. Ein Soldat wußte jedoch um die guten Werke von Gil und forderte Gnade. Der Oberst sagte, dass er Gil verschonen werde, wenn der Soldat 20 Unterschriften von Zeugen auftriebe, die die guten Werke von Gil bezeugten. Der Soldat zog los und trieb die Unterschriften auf. Doch als er zurückkam hatten die Soldaten Gil bereits umgebracht und ihn mit dem Kopf nach unten an einem Baum aufgeknüpft und ihm die Kehle durchgeschnitten. Vorher hatte Gil seinem Henker noch in die Augen geschaut und ihm prophezeit, dass sein Sohn schwer krank werde. Er solle dann zu ihm, Gil, beten und dann werde er den Jungen retten und sein Blut sei nicht umsonst vergossen worden. Noch in derselben Nacht lag der Sohn des Soldaten plötzlich im Sterben. Der Mann betete zu Gil, den er am Morgen umgebracht hatte, und der Junge war am nächsten Morgen wieder gesund. Das war das erste Wunder des Gaucho Gil. Seitdem heilt Gaucho Gil die Kranken, vervielfacht den Wert jeder Münze und bringt den Armen Brot und Mate. Das Rot seines Blutes ist das Rot der Fahnen und Tücher, die überall hängen. Aus jenem Baum an den man ihn aufknüpfte ist ein Heiligtum geworden, zu dem jedes Jahr Millionen Menschen pilgern. An seinem Geburtstag am 8. Januar wird für ihn eine Messe gelesen, zu er eine Viertel Millionen Menschen kommen. Gil ist ein Mann des Volkes, der Alkohol und Zigaretten liebte. Deshalb bringt man ihm Zigaretten, Wein und Bier (meistens aber dann doch leere Flaschen – in die Schreine an den Straßen). Man feiert ihn als den Gerechten, der die eigene, echte Moral lebte und nicht die einer staatlichen Autorität. Deshalb ist er außerdem der Schutzpatron der Ganoven. Bei jedem Handtaschenräuber den die Polizei schnappt, finden sie ein rotes Bändchen in der Tasche.

Neben Gaucho Gil ist noch die La Diffunta Correa, die Mutter aller Mütter, besonders wichtig. Im Bürgerkrieg 1840 wurde ihr Mann als Soldat schwer verletzt und als Geisel genommen. Sie ging mit ihrem Baby auf dem Arm los, um ihren Mann zu suchen und ihm zu helfen. Sie geriet in eine Wüste, in der sie verdurstete. Tage später fanden Maultiertreiber die Leiche. Und jetzt das Wunder: ihr Sohn hat überlebt, selbst im Tod hat sie ihn noch an der Brust genährt. Seitdem wird sie als die Mutter aller Mütter verehrt. An dem einsamen Ort an dem sie gestorben ist ist inzwischen ein Dorf mit zwei Dutzend Kapellen entstanden. Zu Ostern ziehen Hunderttausende in das Dorf, um ihr zu huldigen. Außerdem ist sie die Schutzheilige der Fernfahrer. Wer ein Transportunternehmen hat, lässt seine LKWs besser von ihr segnen. Politiker im Wahlkampf müssen unbedingt bei ihrem Grab einen werbewirksamen Foto-Stopp einlegen, wenn sie gewinnen wollen. In den Straßen der Städte sieht man am Straßenrand häufig Papierblumen neben einer Flasche Wasser, damit die arme Difunta, sollte sie auf dem Weg einmal vorbeikommen, keinen Durst leiden muss.

Sowohl die Wasserflaschen als auch die roten Schreine haben uns einige Zeit Rätselraten gekostet, aber jetzt wissen wir es und das nächste Bier geht an Gil!

Auf unserer langen Fahrt durch das Nichts gab es zum Glück eine YPF-Tankstelle. Die lag allerdings total verlassen und wir wurden – was bisher noch nicht vorgekommen war (hier darf man nämlich nicht selber tanken) nicht bedient, wir stellten dann aber fest, dass es daran lag, dass das WM-Spiel Argentinien-Australien gerade stattfand und alle drinnen vorm Fernseher saßen. Wir haben uns dann mit Cafe und Empanadas gestärkt und haben vor der Weiterfahrt auch ein bisschen Fußball geguckt.

In El Calafate fuhren wir auf den Campingplatz, auf dem wir uns mit Heidi und Peter verabredet hatten, mit denen wir in Valdes einen netten Abend verbracht hatten. Die beiden sind von dort aus quer übers Land auf die Ruta 40 gefahren und diese dann südwärts. Wir konnten uns also optimal austauschen, da wir weiter in die jeweilige Richtung fahren, die der andere schon kennt.

Entgegen unserer Erwartungen liegt der Campingplatz so windgeschützt in einer Senke und unter Bäumen, dass wir tatsächlich unser Dachzelt und unser Küchenzelt aufbauen konnten. Den gemeinsamen Abend mit Weinchen verbrachten wir dann aber doch gerne im geheizten Wohnmobil von Peter und Heidi.

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